nach der Pubertät

Geprägt von Bildern vom eigenen Sein,
geformt  und gezeichnet von anderen,
die meinen, einen zu kennen.

Abschütteln fremder Bilder,
entfalten aus falschen Formen,
wer bin ich?

Abschütteln der Menschen,
die man liebt,
wenn sie zu sehr verklebt sind
mit den falschen Bildern von uns,
in denen sie uns sehen wollten.

erziehungsberechtigt

Was sind schon all die Worte,
Worte des Stolzes oder der Zurechtweisung,
Komplimente und Ideale und
gut gemeinten Erziehungsrichtlinien?
Was nützen die wohlgemeinten Zukunftsträume?
Es ist das Leben, das Vorleben,
das letztlich Mut vorlebt
oder Entscheidungsfindung
oder Durchsetzungsvermögen
oder Moral
und Werte –
viel mehr als Worte es könnten.

Sie durchschauen uns schnell,
leben uns nach,
spiegeln uns
und lassen uns sehen,
wie weit her es mit unseren Idealvorstellungen vom Sein
wirklich ist.

geschrieben

Auf kleinen Zetteln, in leeren Büchern, auf Fahrkarten, Bierdeckeln und Servietten,
in Briefen an mich selbst,
an Rändern und auf Rückseiten von Schul- und Studiumsmitschriften
und Arbeitsblättern, auf Innenseiten von Verpackungen, Etiketten und Kassenzetteln,
in Gästebüchern offline und online  –
überall habe ich geschrieben, habe ich mich verewigt und ein wenig offenbart;
überall dort habe ich mich freigeschrieben,
Meinungen, die meine nicht waren, formuliert,
mich schließlich neu überdacht, mich positioniert und reflektiert;
überall dort bin ich erwachsen geworden.

und dann ist man 30

Familie oder Karriere?
Kind oder Selbstverwirklichung?
Beziehung oder Freiheit?

Stellen sich diese Fragen wirklich irgendwann? Klar stellt man sie sich. Zum ersten Mal vielleicht mit 15. Aber sehr zentral scheinen sie mit 30 zu sein. Und kann man sie nicht zur eigenen Zufriedenheit beantworten, fühlt man sich, als hätte man im Leben nichts erreicht.

Sucht man wirklich Antworten oder sind es nicht einfach Fragen, die kurz zusammenfassen, was man alles vom Leben erwartet. Oder meint, erwarten zu können. Eigentlich sind es keine Oder-Fragen, sondern Und-Fragen. Eigentlich geht man doch anfangs davon aus, dass man sich nicht entscheiden muss. Aus dem Und wird erst später ein Oder. Warum? Weil man merkt, dass die Lebenszeit einen begrenzt?

Ich glaub, die wenigsten Menschen stehen wirklich vor diesen Entscheidungen, schließen bewusst Familie oder Karriere aus oder sehen sich zwischen der Entscheidung Kind oder Selbstverwirklichung. Nicht einmal zwischen Beziehung und Freiheit sieht man sich in der Wahl. Es ist doch vielmehr so, dass das Ausschlussverfahren, sollte es eines sein, sich eher andersherum ergibt: Da hat man „plötzlich“ dann seine Karriere, die einem Sicherheit und Identifikation ist, und kann sich nicht vorstellen, in seinem Leben eine Familie unterzubringen, obwohl der Gedanke daran vielleicht doch recht schön ist. Oder man hat seine Beziehung, investiert mehr in diese als in sich und verliert somit seine Freiheit. Und wenn man es merkt, scheint es einem, als hätte man sich irgendwann, als man sich für eine Beziehung entschied, die Freiheit aus seinem Leben ausgeschlossen. Manchmal bleibt der Partner nicht. Für wie lange fühlt man sie dann, die Freiheit? Und bleibt einem nicht vielleicht manchmal nur der Blick auf eine Karriere, wenn zu Hause niemand sonst wartet?

Ich glaube nicht, dass diese Fragen wirklich eine Rolle spielen, weil der Einfluss, den man auf die Antworten hat, begrenzt ist. Ich glaube eher, dass sie ein Gefühl ausdrücken: Das Gefühl, erwachsen sein zu müssen und jetzt doch endlich mal wissen zu müssen, was man vom Leben will. Aber bitte realistisch. Verbunden mit dem Gefühl, solchen Entscheidungen einfach nicht gewachsen zu sein. Noch nicht. Nie.

Lena

Sie war Austauschstudentin. Wir wohnten zusammen. Wir studierten beide Germanistik im ersten Semester. Sie war nur wenig größer und älter als ich. Wir verstanden uns vom ersten Augenblick an gut, aber wir erkannten erst viel später, wie ähnlich wir uns wirklich waren.

Abends saßen wir entweder in ihrem Zimmer oder in meinem, redeten, lernten, oft gingen wir spazieren unter Sternen. Wir hatten beide einen heimlichen Freund, den unsere Eltern nicht kannten und von dem sie auch nicht begeistert gewesen wären. Die Namen unserer Freunde begannen mit demselben Anfangsbuchstaben und sie wohnten in derselben Gegend. Trotzdem fuhren wir nie gemeinsam dorthin. Ihrer war etwa 10 Jahre älter, meiner ein halbes Jahr jünger als wir. Ihrer fuhr Porsche und meiner VW. Ihrer machte ihr teure Geschenke. Meiner schenkte mir Worte.
Nach einem Wochenende, das wir beide bei unseren anfangsbuchstabengleichen Freunden verbracht hatten, lag bei uns beiden Trennung in der Luft. Fast war es schön, fast romantisch, dies parallel zu erleben. Frustshopping. Gemeinsam weinen.

Dann erhielt sie Briefe. Viele Briefe. Ich fragte sie nicht. Erst als ihre Schreibtischschublade so voll war mit diesen Briefen, dass sie sie nicht mehr zubekam. Sie hatte jeden Brief sorgfältig geöffnet, einmal gelesen und in die Schublade gelegt. Sie schrieb nie zurück. „Liebesbriefe“, sagte sie. Zeigte mir einen. Herzallerliebst. Von einem Mann, der nach dem Herzen ihrer Eltern wäre, aber nicht nach ihrem. Der sich in ihren Anblick verliebt hatte, der sie bei sich haben wollte, ohne sie wirklich zu kennen.
Seine Beharrlichkeit beeindruckte mich.

Unsere Abendspaziergänge und gemeinsame Zeiten reduzierten sich drastisch.

Sie traf sich mehrmals mit ihm.
Er küsste sie.
Er machte ihr einen Heiratsantrag.
Sie lehnte ab.

Zur selben Zeit machte mir der Assistent meines Vaters ebenfalls einen Heiratsantrag. Wir hatten viel Zeit miteinander verbracht. Ich mochte sein Interesse an mir. Ich mochte ihn gegen meine Einsamkeit und gegen die Unbeständigkeit meiner Beziehung und meiner Freundschaft zu Lena. Er fand, wir würden zusammenpassen. Sein Heiratsantrag war dennoch absurd!
Ich lehnte ab.

Wir waren noch keine 20 und unsere Leben so unfassbar parallel in kleinen, absurden Details.
Nur eines unserer beider Leben wäre unglaubwürdig genug gewesen!
Ich konnte so gut mit ihr reden.
Jedoch ließen wir es immer mehr.
Zu unheimlich waren die Verschlungenheiten unserer Leben.

Schließlich musste sie zurück in das Land ihrer Staatsbürgerschaft.
Am Abend vorher saßen wir in ihrem Zimmer. Sie packte. Ich war traurig.
„Wir schreiben uns“, sagte sie. „Und wenn wir einmal heiraten, laden wir uns zur Hochzeit ein.“ Ein Grinsen. Und das Gefühl, schon genug Heiratsanträge und Herzschmerz erlebt zu haben.
Ich konnte sie nicht zum Zug bringen.
Wir schrieben uns vielleicht noch ein halbes Jahr lang Mails.
Dann gab es ihre Emailadresse nicht mehr.
Manchmal vermisse ich sie. Ich wüsste gerne, wie es ihr geht und wie ihr Leben weiterging. Aber vielleicht lebe ich es ja…

Märchen

„Manchmal fühl ich mich wie so ein Held, der die Prinzessin aus einem gut bewachten Turm befreien muss. Der Hecken voller dorniger Gedanken und Bedenken überwinden muss. Der ihr zeigen muss, dass es noch mehr gibt als ihre kleine Welt, als all die eingeredeten Meinungen und Ängstigungen, die sie über Männer gelernt hat, noch ehe sie jemals einen gesehen hatte.“ sagt er. Und ich kann mich erinnern, dass ich mich wie eine solch behütete Prinzessin gefühlt hatte, die ihren „Helden“ brauchte, an dem sie sich eine eigene Meinung bilden konnte. Und wie lange es dauerte, bis über die Mauern verstohlen schöne Rosen blickten.