Rheuma

Lohnt es sich noch,
Klavierspielen zu üben und
Fingersätze zu perfektionieren,
wenn die Schmerzen in den Fingern
wohl nie mehr ganz verschwinden werden
und die Lockerheit wohl eher
ganz langsam versteift?
Lohnt es sich noch,
wenn ich vielleicht
gar nicht mehr besser werden kann?

—-

Vielleicht lohnt es sich,
solange es mir Freude macht
immer schneller zu begreifen,
immer schneller zu verstehen,
immer besser das Wesentliche zu sehen.
Ja, vielleicht lohnt es sich,
selbst wenn man diesen Fortschritt
vielleicht kaum hört.
(Und für die Finger ist Bewegung eh gut.)

Und vielleicht lohnt sich alles,
was uns vom perfektionistischen Unideal
zum Leben bringt.

Zustand des Wartens

Wie der Wind vor den Fenstern die Bäume zerrauft,
so zerrauft mir meine Nervosität alle meine Gefühle.
Das Warten ist nicht das Schlimmste,
sondern das Wissen
um das Enden dieses Zustandes,
in dem mein Kopf erfüllt ist von Bildern,
die zwischen goldglänzender, hoffender Traumvorstellung
und dem verstandesmäßigen Verurteilen derselben liegen.

ungenügsam

Solange ich meinen Kopf noch habe,
mein Denken, meine Gedanken,
ein bisschen Erkenntnis,
ein bisschen Weisheit,
solange kann ich genügsam sein,
dachte ich

und verkannte so lange,
wie wichtig mir
meine Hände sind
(obwohl ich keine Macherin bin),
wie wichtig mir meine Füße sind
(obwohl ich keine Läuferin bin),
wie wichtig mir meine Augen sind
(obwohl ich keine Seherin bin).
Der Kopf allein reicht nicht ganz
(zumal er auch so begrenzt ist)
und ich bin mir selbst auch nie ganz genug.

in seinem Kopf

Ich interessiere mich nicht für ihn,
ich interessiere mich für mich.
Mich interessiert, was er über mich denkt,
was er für mich fühlt, was er von mir träumt.
Mich interessieren seine Worte nur dann,
wenn er von mir spricht, seine Sätze nur dann,
wenn sie von mir handeln.
Eine andere Basis gibt es nicht.
Alles andere an ihm langweilt mich.
Bisher war sein Kopf ein Raum aus Spiegeln,
in dem ich mich wieder und wieder vermehrte
und ihm neben mir, wenn er neben mir war,
keine anderen Gedanken mehr blieben.

Nun sind die Spiegel zerbrochen
und ich fülle seinen Kopf nicht mehr vollständig aus.
Es bleibt nicht mehr genug von mir,
um alles andere von ihm auszublenden
was mir nicht passt.
Es bleibt nicht genug von mir,
um ihn glauben zu machen,
die Gedanken an mich würden ihm ausreichen.

glauben

Wie kann man glauben,
fest an etwas glauben,
das überhaupt keinen Sinn ergibt?
Wie kann man sein Hoffen
sein ganzes Hoffen,
in diesen Glauben betten?
Wie kann man sagen,
laut allen sagen,
was man zukünftig erwartet?

Ausgesprochene Worte fordern Argumente,
fordern Begründungen,
fordern Erklärungen.
Glaube fordert nichts davon.
Spreche ich, spricht mein Kopf mir den Glauben ab.
Darum kann ich nur leise glauben.
Nur Zweifeln kann ich laut.

untrennbar

Die Emotionen leben nebeneinander
ohne einander zwangsläufig zu bedingen.
Während ich in einer Sache traurig bin,
durchflutet mich in einer anderen euphorische Energie.
Während ich mich einerseits niedergeschlagen fühle,
genieße ich andererseits die Schönheit in allem.
Manchmal wundere ich mich
und manchmal bin ich erschrocken darüber
und finde das Mischverhältnis in mir unangemessen.

im Ideenrausch

Ach, du quälst mich mit Deinem „später“.
Wie schwer es ist, eine in diesem Moment revolutionäre, grandiose vielleicht lebensverändernde Idee für sich zu behalten!
Ich weiß, dass sie keinen Cent und keine Minute wert ist, wenn sie nur jetzt diesen Charme versprüht, mich nur jetzt diesen Endorphinrausch versetzt, nur jetzt für einen erhitzten Kopf und kalte Hände sorgt. Aber ich weiß auch, dass mit dem Abebben des Charmes, des Rausches und der flatternden Aufregung – und dieses Abebben wird unweigerlich eintreten nach einer Weile – all diese Ängste wiederkehren: die realistische Panik aus der Möglichkeit des Versagens. Ich weiß, dass das alles ganz normal ist. Angst und Euphorie und Risiko und Glück, das sind die Ingredienzien großer Projekte. Das Leben muss (mir) Sicherheitsnetz genug sein. Und Angst darf nicht lähmen, sondern muss Triebkraft werden.
Ach, wär doch schon später!
Ich muss reden.

gute Gedanken

Ich brauche mehr Bewegung. Für die Kraft meines Körpers. Für meinen Kopf. Will laufen und den Boden unter meinen Sohlen spüren, will spüren, wie die Erde nachgibt und meinen Schuhabdruck in sich aufnimmt und mich leicht federnd weiterziehen lässt. Will mir unauffällig bewusst werden, wie automatisiert der Prozess des Laufens ist. Will während sich meine Beine bewegen, mein Herz schlägt, meine Lunge lebt und mein Körper mich trägt meine Gedanken fliegen lassen. Wohin  immer sie wollen. Und will sie schließlich neu gesammelt, inspiriert und sortiert wieder nach Hause tragen. Mit heißem Atem. Mit Glück.

Aber es regnet. Und es ist dunkel und kalt.
Ich kann mich nicht aufraffen.

Grenzgang

Ich bin keine Katze mit sieben Leben, ich habe nur eins.
Ich bin keine Hydra mit neun Köpfen, ich habe nur einen.

Hätte ich mehr als ein Leben, könnte ich herausfinden, wie der Tod sich anfühlt, ehe er endgültig ist.
Hätte ich mehr als einen Kopf, hätte ich mehr als einen Dickkopf.

Wäre ich eine Katze, könnte ich das Dunkel dennoch nicht mehr lieben.
Wäre ich eine Hydra, müßten sie mir mehr als einen Kopf abschlagen.