Traumtyp

Ich habe alles von Dir gelesen. Mehrmals. Habe jedes Bild von Dir gesehen, mich in jedes Foto verliebt. Jedes Zuzwinkern von Dir habe ich mir in Träumen in Endlosschleifen gelegt, jedes Anlächeln hat mich ständig beglückt. Ich sehnte mich nach Deiner Nähe und malte sie mir leuchtend aus, so leuchtend, daß Du nie im Leben an sie heranreichen kannst. Ich redete mir ein, daß ich an Deiner Seite sein will. Ich träumte von Küssen und Zukunft und Kindern.
Ich habe Dir einen Charakter erschaffen – zieh doch bitte ein.

Meine Einladung ist Selbstverletzung.
Willst Du in meinem Kopf und Herz bleiben, mußt Du sie ausschlagen.
Willst Du Realität werden und mir mein Herz brechen – küss mich.

Migräne

Es ist, als würde ein Messer an meiner Schädeldecke sägen. Stimmen und Töne, das Rascheln von Kleidung, das Scharren von Füßen und das Prasseln des Regens auf unser Dach sägen tiefer und tiefer, kerben und bohren sich ein. Mein Magen dreht sich um. Aber auch, weil ich mir vorstelle, wie diese Säge sich schon ganz bald knochenkalkig durch mein weich-zähes Hirngewinde arbeitet. Ich liege mit geschlossenen Augen, zusammengerollt tief unter meiner Decke. Ich will nur Stille. Doch selbst mein Herz pocht zu laut. Selbst mein Schlucken hallt nach. Ich höre mir beim Atmen zu und nehme wahr, dass es kein ruhiges, gleichmäßiges, sondern stoßhaftes Atmen ist. Und mir ist so übel. Auf meinem Kopf kribbelt es unangenehm, als würde meine Kopfhaut sich an dieser Stelle zusammenziehen und mir immer weniger Platz für meine Schädeldecke lassen wollen. Der Druck auf den Schläfen nimmt zu. Ich bin wach. Ich leide. Und langweile mich. Ich kann nichts lesen, nichts hören, Berührungen nicht ertragen, mich nicht unterhalten. Selbst das Denken ist gestört durch den Schmerz, durch den Druck, durch die angespannten Nerven und meinen Herzschlag, der hundertfach und übertrieben laut in meinem Hirn wummert. So liege ich nur und lausche in meinen Körper und ertrage. Schüttelfrost ohne Fieber fährt über meine Haut. Ohne meinen Kopf ginge es mir heute besser…

Du und ich

Und eines Tages riefst Du nicht mehr an, meldetest Dich nicht mehr täglich, sondern nur noch sporadisch, die Abstände wurden immer länger. Erst fiel mir das gar nicht auf. Ich war beschäftigt. Irgendwann, als ich es bemerkte, stellte ich fest, daß mir Deine Auszeiten gut taten. Ich fühlte mich wieder mehr auf mich konzentriert als auf Dich. Aus Wochen wurden Monate, schließlich ein halbes Jahr. Ich dachte an Dich. Unser Kontakt war vorhanden und freundschaftlich, aber ich verlor an Vertrautheit. Wenn wir telefonierten, hatten wir uns nicht immer viel zu sagen. Unsere Leben flossen unproblematisch dahin. Kein Gesprächsbedarf. Unsere Verschiedenheit auf sämtlichen Ebenen trat mehr und mehr zutage, je weniger wir gemeinsam hatten, je weniger wir uns sahen, je weniger wir uns liebten. Manchmal dachte ich daran, wie es war, Dich ständig auf mich zu fokussieren, wie es war, als Du mich umwarbst und wie wir einander eroberten – und wie sehr ich es genossen hatte. Aber ich hatte gewußt, daß es nicht ewig so bleiben würde. Irgendwann kommt der Winter, deckt alles zu mit seiner weißen Decke aus Schnee uns Eis, friert die schönen Momente zu Nostalgie und schmilzt viele Gefühle dahin. Ob ich irgendwann vermissen werde, was ich nicht hätte verlängern können? Vielleicht. In Momenten. Dann ruf ich Dich an. Dann sage ich: „Weißt Du noch…“ Und wir schwelgen gemeinsam in Nostalgie und malen uns eine Fortsetzung. Die nie eintreffen wird, weil die Realisierung mehr Energie kostet, als sie uns wert ist.

Einstimmigkeit

Das bräuchte keine Verführung, wenn wir uns träfen. Das würde sich einfach ergeben. Anstrengungslos. Das müssten wir nicht planen, nicht besprechen. Wir wären nicht aufgeregt und würden nicht den Punkt suchen müssen, an dem wir sicher wären, einander zu wollen. Wir würden nicht einander gegenübersitzen und abschätzen, wer den ersten Schritt machen soll oder wird. Da wäre einfach Spannung, Erregung und alles wäre klar.
Darum reden wir darüber, einander niemals zu begegnen.

Altersunterschied

Du fühlst Dich jung in meiner Nähe,
weil Du Dich nicht verstellen musst. Du kannst mich nicht mit Geld blenden oder Weisheiten beeindrucken. Was für mich zählt bist Du.
Du findest Dich in meiner Jugend wieder.
Findest Unschuldigkeit und Naivität und gibst Dich hin.
Findest verschollene Spontaneität und längst vergrabene Freude in Kleinem wieder.
Du fühlst Dich frei neben mir
und Du tust verrückte Dinge und träumst mit mir dieselben unsteten Träume, die Du schon mit 20 hattest. Du vergisst, dass sie gestorben sind. Du würdest mit mir auf jede Studentenparty gehen, mittelmäßiges Bier aus Plastikbechern trinken und dumme Gespräche mit ernsthafter Miene führen. Wir sind so nah an Albernheiten, so nah an Dummheiten, wir leben in den Tag und kennen keine Pläne. Zukunftslos – und es ist uns egal.

Was man alles für Geld tut…

Wir warten. Seit Stunden. In einer Art Lagerhalle. Als wir ankamen, wirkte sie riesig. Inzwischen ist es so voll, daß ich wohl weich landen würde, würde ich springen: Überall Menschen. Jugendliche. Während sie durch die Tore strömten, angelockt vom versprochenen Geld, das alle gute gebrauchen können, erklommen wir Stufe um Stufe einer Betontreppe. Nun stehen wir auf einer Art Empore. Auch wenn wir wollten, wir kämen nicht mehr weg. Auch auf der Treppe drängen sie sich. Irgendjemand brüllt in sein Megaphon was von ‚Platz machen‘ und ‚Aufpassen‘. Es hatte geheißen, wir sollten uns die ganze Nacht nichts vornehmen, aber Langeweile und Warterei ziehen die Stunden und Ungeduld macht sie breit. Irgendwer hat verbreitet, daß es doch gar kein Geld geben wird. Oder weniger als wir erwarten. Oder nur für diejenigen, die am Ende gebraucht werden. Massenpanik? Nicht weit entfernt.
Sie drängeln und schubsten, sie skandieren im Chor: „Gebt uns unser Geld!“ Und wir blicken hinab auf das Menschenmeer und werden aneinandergeschoben. Hinter uns öffnet sich eine Tür und ein Mann, den man mehrfach im TV gesehen hat, zieht die ersten sechs von uns hier oben zu sich und durch die Tür. Dann schließt er sie schnell wieder hinter uns ab. Nun stehen wir auf einer provisorischen Bühne. Werden ins Rampenlicht gebeten, nehmen auf Talkshowsesseln Platz, während Fäußte und Tritte gegen die Tür trommeln, durch die wir gerade gekommen sind. Wut hinter der Tür und bei uns Verwirrung. Wir sind froh, daß wir nicht mehr in der Masse stehen und empfinden es dennoch als unfair. Das Licht wird eingestellt, wir geben erdachte Interviews für den Toncheck. Der Showleiter ist sauer, daß wir die Leute, die später auf unseren Sesseln sitzen, nicht besser doubeln können, wir jedoch sind überhaupt nicht vorbereitet worden und wissen es nicht besser.
„So geht es nicht“, sagt er schließlich und wirft dramatisch seine Interviewkarten auf den Boden. Ein Choleriker also. Ist uns egal. Allen anderen auch. Ton und Licht stimmen.
„Jetzt noch der rote Teppich“, sagt die Regieleiterin.
Wir werden aufgefordert, ihr zu folgen. Rechts und links Absperrungen. An den Mauern der Halle lehnen Fan-Plakate. Niemand von uns ist Fan. Es geht um eine neue Show. Sowas wie Big Brother oder so. Keiner kennt die Akteure. Aber wir sollen so tun. Für den Effekt. Nachher.
Am Ende des Teppichs wartet eine schwarze Stretchlimosine. Drei von uns sollen einsteigen. Sie fährt ein Stück zurück, dann steigen wir aus, stehen auf dem roten Teppich im Scheinwerferlicht und Blitzlichtgewitter.
Glamourös fühlen wir uns nicht. Ausgeleuchtet vielleicht. Ich habe Gefängnisassoziationen. Beklemmung. Fühle mich unwert und vorgeführt.
Nochmal, das Licht stimmt noch nicht.
Und nochmal.
Das wars.
Wir sollen wieder warten. Drinnen.
Nach einer Stunde fordert einer sein Geld.
Wir schließen uns an. Es ist schon fast Mitternacht. Wir wissen nicht einmal, worauf wir hier warten. Durch die Forderung gelangen wir wieder in den Fokus. Es scheint, als hätten sie uns schon vergessen. Sie wollen uns hinhalten. Schieben uns schließlich wieder durch die Tür, durch die wir kamen. In eine tosende Menschenmenge, die ihre Geduld längst verloren hat, gepusht durch Gerüchte und Langeweile. Keine Infos, auch nicht zum Geld. Dann Bewegung, eine Richtung, rücksichtsloses Vorandrängen. Das sind doch keine zivilisierten Menschen mehr! Ans Geländer gepreßt werde ich mitgeschoben. Unten sitzt eine Frau an einem Tisch mit einer Geldkassette. Sie verteilt Scheine. 100 Mark. Pro Person. Man könnte sich auch mehrmals anstellen – in diesem Gedränge würde das nicht auffallen, aber die Nerven hat kaum jemand. Eine schmale Schneise wird für diejenigen gebildet, die ihr Geld erhalten haben.
Und dann stehen wir endlich draußen, atmen Nachtluft und sehen den Mond.
Wir sind unendlich müde.
Und es fühlt sich fast an, als hätten wir Unmögliches überstanden.

Die Sendung wurde übrigens nie ausgestrahlt.

innere Größe

Es kommt auf den Ausschnitt an. Und auf den Blickwinkel. Nur dann hat man eine Position, von der aus man denken kann. Und diskutieren. Von der aus man sich eine Meinung bilden kann. Es kommt darauf an, wieviel man sieht von etwas und ob man von oben oder von unten schaut. Ist man klein, wirken die Dinge groß und manchmal bedrohlich. Selbst auf Augenhöhe wirkt manch ein Gegenüber furchteinflößend. Aber wenn ich mir bewußt bin, daß mein Wert nicht geringer ist, nur weil es meine Position vielleicht ist, wenn ich mir bewußt bin, daß die Bedrohung oft nur so groß ist, wie ich sie sein lasse, dann wachse ich. Über mich hinaus.

Metapher

Und dann tanzen sie wieder. Tanzen herum. Haben alle denselben Mittelpunkt. Sind angezogen von Aura und Licht. Schwirren und surren und hin und wieder verbrennt eine sich ihre Flügel. Die anderen, wie im Rausch, kreisen weiter, übersehen vor Begeisterung die Gefahr, übersehen die Verletzten und die Sterbenden, können nichts anderes denken und sehen. Ihr Tanz ist ein irres Rotieren – ohne Sinn, ohne Verstand. Erst war es Neugierde, dann Reiz, nun Ekstase. Ausgeblendet ist alles. Es gilt nur das Licht, einzig das Licht. Glühendes Mitläufertum euphorischer Opportunisten. Sie stacheln sich auf, schwenken ihre Körper über der Glühbirne, manch einer fällt und verglüht in der Hitze des Lichtes. Begeisterungstaumel, Delirium.

Mit einem Klick lösche ich das Licht. Vorbei alle Überschwänglichkeit. Verschämt schnarren und brummen und summen sie, verwirrt suchen sie sich und einander, verstört suchen sie Halt. Sie wispern fragend, was geschehen sei. Fassungslos und ungläubig schweben sie nach und nach aus dem Fenster, hinaus in die Nacht. Schamesröte ziert kleine Köpfe. Schweigen, nur Schweigen kann vielleicht alles ungeschehen machen…

Stillstand

Verdammte Versumpfung in Unlust.
Während die Anfangszeit voller Spannung und Euphorie war,
voller Neugier und Energie,
ist es jetzt ein Betonklotz am Bein,
der mir das Fliegen nimmt,
ist es jetzt etwas, das ich halten will,
um nicht gar nichts mehr zu haben,
ist es jetzt gefütterte Sicherheit,
die mir erst Angst vor dem Danach schafft.

aufstehen

Weißt Du, was ich immer an Dir bewundert habe? Deine Wildheit. Dass Du einfach wortlos aufgestanden und gegangen bist, wenn Du Dir sicher warst, dass sowieso kein Argument auf der Welt Dich dav0n abhalten könnte. Dass Du diesen Drang in Dir nicht unterdrückt hast, um Anderen zu gefallen. Dass Du manchmal rücksichtslos warst, aber nie, um jemandem zu schaden, sondern nur, um Dir Gutes zu tun. Ich wünschte, ich könnte auch so einfach gehen…

Stille.

Ich weiß nichts mit mir anzufangen.
Warte und warte doch nicht.
Erwarte und bin doch völlig erwartungsfrei.
Will etwas sagen und bin sprachlos.
Will sehnen und bin ohne Sehnsucht.
In mir ist Stille, die ich genießen wollte,
Unabhängigkeit, die mich zu mir bringen sollte.
Sieht so ein Ende aus?
Ein Ende, das zerrinnt zwischen meinen Fingern
wie der Sand am Meer am Ende des Urlaubs?

wenn es perfekt ist

Durch die Welt hindurch wandle ich. Komme an. Irgendwo. Fühle mich beglückt, am Ziel und denke: ‚So kann es immer bleiben.‘ Und aus dem „Immer“ wird ein vergänglicher Moment, während ich ihn doch noch so unwandelbar und ewig empfinde. Es zieht mich weiter, zupft erst sanft an mir und ich kann es noch ignorieren. Doch dann stupst es mich penetranter, zerrt an mir, reißt und rupft. Meine Gedanken kreisen um ein „Mehr“, kreisen um ein „Anders“.
Ich kann nicht bleiben, ich muß weiter.
Lasse mich treiben, anziehen, bewegen. Komme an. Blicke zurück. Fühle mich besser, um Vieles besser. ‚Das ist es, so kann es bleiben‘, denke ich. Und während es bleibt, ewig bleibt, suchen meine Augen, meine Gedanken, meine entspannten Reize Neues. Fühlen sich verlockt von Buntem, Unbekanntem, Unentdecktem.
Ich kann nicht bleiben, ich muß weiter.
Finde neue Ziele, neue Wege, möchte mehr und anderes sehen, riechen, fühlen, schmecken, möchte mich anders fühlen und erkennen.
Ich kann nicht bleiben, ich bin berauscht von Veränderung.
Ich kann nicht bleiben, alles Aufregende wird zu steril, wenn es so bleibt, wie es einst perfekt schien.

Versprechen

Du willst mir etwas anvertrauen. Im Vertrauen.
Niemand darf es erfahren. Du vertraust mir.
Du fragst mich mehrmals, ob ich es wirklich wissen will.
Und in mir erwacht Neugierde mit einem Schuß Beklemmung.
Ich will es vielleicht doch lieber gar nicht wissen.
Es klingt, als würde es mich belasten.
Was, wenn es mich überfordert?
Ich kann mein Versprechen nicht brechen.
Will ichs Dir wirklich geben?
Meine Neugier ist so angeschwollen.
Es ist wie ein unbeholfener Drang, ich verspreche Dir alles.
Und danach weiß ich,
daß ich vorhin Beklemmung fühlte. Mit einem Schuß Neugierde.
Und eine Bürde mit Dir trage, die für Dich nicht leichter geworden ist.

Begegnungen

„Es macht mir nicht aus“, sagte ich. Ich bin nicht abhängig. Kein Mensch in meinem Leben muss ewig bleiben, keinen muss ich ewig halten. Ich halte das Leben eines jeden für eine Linie und Begegnungen stets für Linienkreuzungen. Mir macht es nichts aus, dass Du mich verlässt, mir macht es nichts aus, Dich zu verlassen. Mir macht es nichts aus, wenn Du aus meinem Leben gleitest so wie Du auch erschienen bist. So unverhofft. Ich verliere mein Herz nicht so schnell. Und selbst wenn. Es macht mir nichts aus. Ich lebe in der Gegenwart. Ich denke kaum noch an Dich. Kaum noch an Dich. Und auch kaum noch an Dich.

Nur manchmal.
Wenn ich gar nicht nachdenke.
Und dann vermisse ich Dich.
Immernoch.

irgendwann…

Ich hab Deine Nummer noch.
Und ich werde sie nicht wählen…
Die Szene kenn ich ja.
Jugendzeit.
Aber irgendwann, wenn ich viel Wein getrunken habe und die Sommernacht lau ist und ich auf dem Balkon sitze und an Dich denke und daran, wie Du mir von all Deinen Exfreundinnen erzählt hast und wir gemeinsam im Vollmond in Nostalgie verfielen,
dann schreib ich Dir.
Und hoffe, dass Du nicht antwortest.
Und hoffe, dass Du zurückschreibst.
Und hoffe, dass Du Dich an mich erinnerst.
Und hoffe, dass Du ein bisschen lächelst und ich das nie erfahre.
Und hoffe, dass nicht alles von Vorne anfängt.

Sanduhr

Und dann warst Du plötzlich bei mir und ich wußte, daß es unsere letzte Begegnung sein würde. Und ich wußte, daß ich zum letzten Mal Deine Hand so berühren würde, mich zum letzten Mal so an Dich schmiegen würde, zum letzten Mal all diese Schönheiten von Dir hören würde. Und ich wußte, Du wußtest das auch. Es schwebte über uns und wir wollten es beide nicht thematisieren. Wir genossen die Stunden bestmöglich, taten all das, wonach wir uns sehnten und ich versuchte, mir alles zu merken, damit ich später von Erinnerung zehren könnte. Ich atmete Deinen Geruch intensiv ein und dachte, ich würde ihn dann niemals vergessen. Ich lauschte Deiner Stimme ganz bewußt und verpaßte manch ein Wort, weil ich mit Deinen Klängen verschmolz. Ich glaube, Du tatest das umgekehrt auch. Denn Du warst so ganz bei mir, mit allem, was Du bist. Du warst nicht schon halb weg und nur noch physisch anwesend.

Irgendwann, viel, viel später, küßtest Du meinen Scheitel und streicheltest mir über den Rücken. Du sagtest: Bleib liegen. Ich möchte nicht, daß Du in der Tür stehst. Und Du sagtest nicht: Ich kann Deine Tränen nicht ertragen. Aber ich spürte, daß Du es meintest. Ich blieb liegen. Hörte Deine Schritte durch den Flur gehen, hörte, wie Du die Tür öffnetest und sie hinter Dir ins Schloß zogst. Hörte Deine Schritte im Treppenhaus immer leiser werden, je weiter Du Dich von mir entferntest. Tränen? Ich dachte an Dich und fühlte Dich noch und wußte, daß ich Dich nie wieder um mich haben würde. Unsere gemeinsame Zeit war abgelaufen, einfach so. Ich dachte, ich wollte sie verlängern, aber eigentlich erschien es mir so richtig, einfach nur Deinen leiser werdenden Schritten zu lauschen, die aus meinem Leben gingen. Und Dich damit Stück für Stück aus meinem Leben zu entlassen. Es tat ein bißchen weh. Aber es roch auch gut nach Zukunft und nach meinen eigenen, ungedämpften Schritten in meinem Leben.

Augenblicke

Die Linse der Kamera beobachtet uns. Starr blickt sie auf uns und wir bemühen uns, sie zu vergessen. Jede Minute schnappt sie und fängt uns ein.

Gerade gucke ich blöd und Du hast Dich aus dem Bild bewegt.

Ich versuche, entspannt zu gucken und mich natürlich zu benehmen. Meine Augen suchen immer wieder die Linse. Mit einem Klick friert sie mich ein und bescheinigt mir Unnatürlichkeit. Ich nehme das ganze Bild ein und von Dir ist vielleicht ein Kopfhaar zu sehen.

Ich lehne mich zurück. Blättere in einem Buch. Lege mich hin, setze mich wieder, spiele mit meinem Haar und kaue an einem Stift. Ich gucke nicht mehr in die Linse, sondern zu Dir. Du suchst ein Taschentuch. Und ich verdrehe den Stift in meinem Haar. Die Kamera schnappt in dem Moment, in dem ich Dich träumend anlächel.

Ich ziehe Dich zu mir. Vergrabe meine Hände in Deinem Haar. Du findest mich gestellt. Dabei vergrabe ich meine Finger oft in Deinem Haar. Du sagst, ich wolle ein Paarbild. Ich blicke Dich empört an und schiebe Dich weg. Mein Telefon klingelt. Wo ist es denn? Beim nächsten Auslösen der Kamera bin ich nicht im Bild. Allein ein grauer Schatten an der Wand zeugt von meiner Anwesenheit. Und von Dir fängt sie wieder nur Haare ein. Unten rechts.

Du blätterst in einer Zeitschrift und tippst auf deinem Smartphone herum. Du hörst Musik und bewegst Dich unbewußt im Takt. Deine Hand fährt durch Dein Haar. Die Wolken hinter dem Fenster teilen sich und ein kleiner Sonnenstrahl streift Dich beim nächsten Schnappschuss.

Ich springe auf Dich, werfe Dich um. Du bist erst böse, dann fängst Du mich auf. Ziehst mich an Dich und beginnst, mich zu küssen. Ich will reden, aber meine Lippen können sich nicht lösen. Ich will erzählen, aber Du läßt mich nicht los. Ich ergebe mich, gebe mich hin, kraule Deinen Kopf, während Deine Hände über meinen Rücken wandern. Du faßt mir unter mein Shirt und endlich läßt Du mir meine Lippen wieder und ich schmiege meinen Kopf an Deine Schulter. Die Kamera fängt unsere Hände und Haare ein. Wir sind ein wenig überbelichtet.

Es wird wieder Dunkel hinter den Fenstern. Regenwolken ziehen auf. Ich öffne ein Fenster. Ein Sommerwind pustet mir entgegen. Ich breite meine Arme aus und lege meinen Kopf in den Nacken. An die weißen Wände kleben sich Wolkenschatten. Ich lasse mich rückwärts fallen. Auf dem Bild sieht es aus, als würden die Schatten mich tragen.

Mich zieht es hinaus. Ich tanze im Regen und Du lehnst im Türrahmen und Du lachst. Deine Augen blitzen wie die Tropfen auf meiner Haut. Wir riechen Sommergras und Urlaub. Meine Füße platschen durch Pfützen. Du schaust mir zu und sagst: „Bitte bleib immer so.“ Und ich sage: „Du auch.“
Die Kamera blitzt auf ein leeres Bett, leere Schatten. Wenn man genau hinsieht, kann man den Stift auf dem Bett entdecken, mit dem ich mir vorhin die Haare verdreht habe.

Regelmäßigkeiten

Manches muß man regelmäßig tun.
Sonst läßt man es schleifen,
verschiebt es
wieder und wieder
und läßt es schließlich sein.

Zu Manchem muß man sich ein bißchen zwingen.
Da muß man ohne hohe Motivation durch.
Dran bleiben.
Investieren.
Und vom anschließenden Glücksgefühl profitieren.

Zum Glück gilt das nicht für alles!

aufgewacht

In einer langen, dunklen Nacht
bin ich plötzlich aufgewacht.
Fern von Tönen, schönen Träumen.

Horchte leise in mich rein.
Was der Grund fürs Wachsein sei.
Lauschte leise – tiefe Stille.

Finde keinen Schlaflosgrund.
Floh wohl nur dem Traumesschund.
Was vielleicht ja besser war.

Sonst wär ich vielleicht des Nachts
albtraummäßig aufgewacht.
Und nicht so wie jetzt – fast schön!

Wohlstandsbauch

Eigentlich gibt es diesen Wohlstandsbauch gar nicht mehr. Der „Wohlstandsbauch“ heutzutage ist ein Fitnessabo. Wer sichs leisten kann, hat keinen Bauch. Also keinen dicken Bauch, sondern einen trainierten oder zumindest einen, für den er sich nicht schämen muß. Die qualitativ hochwertigen Nahrungsmittel sind nicht nur dem Wohlstandsportemonnaie angepaßt, sondern auch dem Wohlstands-Nichtstun, dem Wohlstands-Bürojob, dem Wohlstands-Kopfarbeiter, sprich: fettreduziert, vitaminreich, frisch und ökologisch.
Der Wohlstandsmensch kann kochen – und achtet auf seine Ernährung. Er kennt die Ernährungstabelle und kombiniert sie mit Bewegung, die er im Alltag nicht braucht.
Den WohlstandsBAUCH hat er längst abgegeben. An diejenigen ohne Fitnessabo, diejenigen ohne Geld, ohne Ahnung oder Interesse an Ernährung und ohne das Kleingeld für Bioprodukte.
In Deutschland verhungern nicht diejenigen, die es sich nicht leisten können – es hungern diejenigen, deren Kühlschrank voll ist (oder es rein finanziell sein könnte). Eine neue Diät, ein immer wiederkehrendes Ideal von überspannter Schlankeitsvitalität.
Wobei die Kühlschränke unabhängig von Ober-, Mittel- und Unterschicht fast alle gut gefüllt sein dürften. Hungern ist freiwillig.
Dünn und dünner durch Eigenwillen.
Fett und fetter durch Frust und ein gesellschaftliches Überflüssigsein.
Brot und Spiele, immer dieselbe Methode. Nur daß Brot heutzutage allgemein Lebensmittel sind und Spiele Trash-TV, mit dem man sich so herzlich wenig identifizieren kann, ebenso wie manipulierende Medien, die Panik schüren können oder Berichterstattung weichspülen, wie es ihnen beliebt. Hauptsache Informationsfülle. Reizüberflutung als Manipulation und als Mittel, kritisches Denken einzudämmen.
Schade, um all die Kapazitäten, die in unserem Land vielleicht verkümmern…

Katze

Irgendwie stelle ich mir immer vor, du hättest eine Katze.
Stelle mir vor, wie sie bei dir herumschleicht und ihre geschmeidigen Bewegungen.
Und wie sie auf Dein Bett springt und die Matratze nur ein wenig nachgibt. Auf weichen Pfoten spaziert sie sicher auf den Platz zu, der ihr wohlig erscheint. Und dann rollt sie sich zusammen und schnurrt ganz leise.
Ich denke, dass das zu deinem Bett passen könnte, ein Sprung, Bewegungen, Schnurren.

Und später
spring ich auf Dein Bett…

Sommer

Es ist heiss.
So heiss, dass der Asphalt weich wird und sich unter meinen Schuh klebt und ich die zähe Masse in mein Sohlenmuster presse. Die Laubkronen der Bäume werfen löchrige Schatten auf die Gehwege. Ein wolkenloser Himmel umspannt die Stadt. Eine schwarze Katze maunzt hinter einem Fenster als träumte sie vom Liegen im kühlen Gras. Balkonien hat Hochkonjunktur. Manch einer bereut, keinen Urlaub zu haben.

Und ich sehe Dich in Deiner Dachwohnung sitzen und einen neuen Sommer verachten. Sehe Dich in den Himmel blicken und auf graue Regenwolken hoffen. Und spüre, wie Du mir auch dieses Jahr wieder Deinen ganzen Sommer schenkst. Nur kann ich ihn nicht mehr annehmen.

Chance

Noch ein Glas Wasser, es erfrischt.
Ich möchte nicht reden.
Was soll ich denn sagen?
Du weisst doch schon längst,
dass alles vergänglich ist.

Und Dein Blick
sieht so tief.
Und ich trinke
so lange
bis Du wegsiehst.

Du hauchst mir einen Kuss auf die Wange
und sagst:
„Sprich mit mir.
Ich habe noch lange nicht alles verstanden,
was ich gerade in Dir gelesen habe.“

Fetzen

Wie gewonnen, so zerronnen.

Das ist Liebe?
Ein Strudel aus Gefühlen, die sich miteinander vermischen und im besten Fall einen geschmacklich recht annehmbaren Mix ergeben? Solange, bis es neue Gefühle gibt, die sich mit Anderem mixen wollen?
Das glaub ich nicht.

Valentinstag. Und eine Blume im Haar. Eine ganz kleine. Denn wir zelebrieren sowas ja nicht.

1000 Fragen von den falschen Leuten. Falsche Antworten, weil die richtigen mich zu sehr offenbaren würden.

Ja, ich kann Lügen. Ich kann Dich anlügen. Du würdest meine Lüge glauben.
Aber ich mag nicht.

im Dunkel

Gefühlte Einsamkeit.
Verlassen in tiefschwarzer Nacht.
Fehlt das Licht, sind die Augen blind.
Ein Tasten nach Bekanntem.
Alles fühlt sich fremd an.
Und dann
eine Berührung.
Hoffnung? Angst?
Wer bist Du?
Und doch Erleichterung, dass da jemand ist.
Viel mehr Erleichterung als Beklemmung.
Ist Einsamkeit also schwerer zu ertragen als die Furcht vor Unbekanntem?

Zeit zurückdrehen

Wenn es sich nicht mehr gut anfühlt, wenn es wehtut, dann, so sagt einem doch der gesunde Menschenverstand, soll man zurückkehren zu dem Punkt, an dem es sich gut angefühlt hat.
Es hat sich gut angefühlt als Du bei mir warst. Als wir im Auto saßen und Du es „unser Auto“ nanntest, obwohl ich Kilometer von Dir entfernt wohnte, keinen Führerschein hatte und wir uns mit viel Glück alle 3 Monate sahen. Neben Dir zu sitzen, Dich anzugucken und zu denken „das ist mein Freund“ und das irgendwie unrealistisch zu finden und gleichzeitig unendlich schön.
Es hat sich gut angefühlt, an Deiner Schulter zu schlafen und daß Du mich küssen wolltest und mit mir schlafen. Ich hörte Deine Träume von mir so gerne.
Es hat sich gut angefühlt, zu verführen und dabei von Dir verführt zu werden. Wie wir dort lagen, auf dem Bett, nach dem Sex und unsere Körper so warm waren, daß ich Dich fast nicht berühren wollte, es aber doch tat und nicht verbrannte.
Es hat sich gut angefühlt, daß Du mich so mochtest, so freundschaftlich und Dich von mir verletzen ließest.
Es hat sich gut angefühlt, tabulos zu sein und es mitten auf dem Rasen im Fußballstadion einfach zu tun. Ich glaube, wir sahen gut aus. Und ich mochte es so, daß Dir alles um uns so egal war. Daß es immer nur Dich und mich gab und Du Fotos von mir neben Dein Bett stelltest.
Es hat sich gut angefühlt, mich unter Dir zu räkeln, immer zu wissen, daß Du heiß auf mich bist, selbst wenn ich nur einen Schluck aus einem Glas nehme. Ich vergesse Deinen Blick nicht und auch nicht Deine Hände und daß Du mich so gerne riechst.
Es hat sich gut angefühlt, mit Blicken zu spielen, begehrt zu werden, keine Angst mehr zu haben, daß Männer mir etwas tun oder nehmen, was ich nicht machen oder geben will.
Es hat sich gut angefühlt, endlich erwachsen zu sein.
Wohin sollte ich zurückkehren?

Whisky und Wein

Ich trinke Weißwein, Du Whisky. Du telefonierst und sagst irgendwie was von dem Beginn Deiner Whiskysammlung. Ich sehe sie schon vor mir, die schönen Flaschen, das dunkelbraune Regal, diese Whiskykelleratmosphäre in stilvoller Modernität. Keine Frage, ich bin auch für ne Whiskysammlung. Für Kerzen, für Rauch. Aber bitte kein spießiges Mobiliar. Das kommt mir nicht ins Haus. Stattdessen hätte ich gern diese total designte, blaue Weinflasche, die bestimmt ihre 80 cm groß ist. Woah! Und Bücher. Überall Bücher. Gebundene Bücher.

Eigentlich bin ich schon müde, aber Dir beim Whiskytrinken zuzugucken, das mag ich so gerne!
Wie Du ihn so ganz leicht im Glas schwenkst und die karamellfarbene Flüssigkeit kleine Wellen zieht. Und wie Du sie dann riechst und mir das Glas rüberreichst, um mich auch riechen zu lassen. Dann schließe ich die Augen, konzentriere mich auf nichts sonst und genieße den herben, torfigen Geruch mit einer Spur von Lagerfeuer und einer Prise Holz, irgendwo eine Note von Alkohol, ganz leicht medizinisch, ganz leicht steril. So leicht, daß es für mich so einen Touch von Anstand hat und ich sowas wie heroische Ehre schmecke, obwohl ich keinen Tropfen probiert habe.
Ich öffne meine Augen und sage: „Guuuuuuuut.“ Und Du trinkst. So andächtig, so genießend, läßt Dir meine ganze unausgesprochene Phantasie auf der Zunge zergehen.
Ich schwenke den Weißwein in meinem Glas. Klar ist er auf den ersten Blick. Aber auf den zweiten erkenne ich eine bernsteinfarbene Nuance. Farbharmonien in unseren Gläsern. Das ist Genuß. Genuß wie wir.

daneben stehen

Gewartet auf den richtigen Zeitpunkt.
Dabei die Zeit vergessen.
Vergessen, wie es sich anfühlt, dem Rausch nachzugeben.
Nachzugeben und sich gehenzulassen.
Einfach gehenzulassen und Leben zu fühlen.
Lebendig sein heißt nicht nur am Leben zu sein.
Am Leben zu sein heißt zu warten.
Zu warten auf den richtigen Zeitpunkt.
Den richtigen Zeitpunkt, den es nicht gibt, weil das Leben vorbeirauscht.

Hände

Die linke Hand weiß nicht, was die rechte tut. Sind sie nicht über das Gehirn miteinander verbunden? Oder sympathisiert das Gehirn mit einer der Hände mehr? Präferenzen. Lieblingskinder. Für seine Objektivität ist das Gehirn ja nie besonders berühmt gewesen…

Vermissen sie sich, die Hände? Oder vermissen sie andere Hände? Vermissen sie Einigkeit oder Erweiterung? Oder gehen sie auf in ihrer Isolation. Auch eine Hand kann viel schaffen. Aber waschen sollte eine Hand die andere. Und treffen sollten sie sich hin und wieder, sich ergänzen und zusammenhalten.

Ob ich Dir meine rechte oder meine linke Hand reiche ist doch egal. Wichtiger ist, ob Wärme entsteht zwischen unseren Händen. Ob Deine Hand angenehm und vertraulich ist, wenn meine sich anschmiegt. Und vielleicht ist meine linke Hand traditionell ein wenig unbedarfter.

Irrational

Schreibst Du mir nicht, vermisse ich Dich.
Schreibst Du mir, weiß ich nicht, was ich antworten soll.
Fragst Du mich, ob ich reden will, sage ich nein.
Rufst Du mich an, geh ich ran.
Ich will Dich nicht wiedersehen.
Aber bist Du in der Gegend, treffe ich Dich.
Ich fühle schon vorher, dass ich Dich nachher nicht gehen lassen will.
Und ich hoffe gleichzeitig, dass es das letzte Mal war, das wir uns gesehen haben.

Grenzgang

Ich bin keine Katze mit sieben Leben, ich habe nur eins.
Ich bin keine Hydra mit neun Köpfen, ich habe nur einen.

Hätte ich mehr als ein Leben, könnte ich herausfinden, wie der Tod sich anfühlt, ehe er endgültig ist.
Hätte ich mehr als einen Kopf, hätte ich mehr als einen Dickkopf.

Wäre ich eine Katze, könnte ich das Dunkel dennoch nicht mehr lieben.
Wäre ich eine Hydra, müßten sie mir mehr als einen Kopf abschlagen.

Wildheit

Ich hielt mich für den Hundeflüsterer. Hielt mich für diesen Menschen, der allein durch seine Ausstrahlung geschützt durch ein Rudel hungriger Wölfe schreiten kann. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß ein wildgehaltener Hund meine lieben Absichten verkennen würde.

Als ich seine Nähe suchte, ihn streicheln und ihm meine Freundschaft anbieten wollte, fiel er mich an. Er ging mir, auf den Hinterbeinen stehend, bis zur Schulter. Er biß mich und ich verstand nicht. Streichelte ihn trotzdem noch ehe ich schrie…

Fernbeziehung?

‚Aber ich kann meinen Job nicht ständig wechseln.‘ Kann nicht? Doch kannst Du. ‚Ich kann nicht. Wie sieht das aus im Lebenslauf? Und irgendwann stellt mich dann auch gar keiner mehr ein.‘ Das kann ich nicht akzeptieren. Daran glaub ich nicht. Und sollte ich daran glauben, wollte ich so nicht leben. ‚Ich möchte nicht‘, sagst Du schließlich. Das kann ich akzeptieren. Wenn Du nicht möchtest, weil Du Dich wohlfühlst, weil Du Dich gut fühlst an diesem Platz, weil Du Dich herausgefordert fühlst von den Aufstiegschancen, die Dir derzeit geboten werden, dann kann ich das verstehen. ‚Aber ich‘, sage ich, ‚ich kann nicht auf Dich warten. Vielleicht muss ich gehen, wenn es mich zieht.‘ Und Du? Du lässt mich gehen, Du lässt mich sein, Du siehst mich an und sagst: ‚Ich bleib bei Dir und komm dann nach.‘ Du lässt mich nicht los und doch so weit gehen. Ich hab Dich lieb.

erster Eindruck

Ich kam an einem Spiegel vorbei.
Mein Blick streifte meinen Anblick.
Ich war begeistert und fand mich optisch großartig!
Darum gönnte ich mir noch einen Blick.
Je länger ich mich anblickte,
desto weniger gefiel ich mir.
Das war der Moment,
in dem ich beschloss,
dass der erste Eindruck zählt.

ohne Worte

Still, sagst Du, still. Wir brauchen keine Liebe, keine Schwüre, keine Worte, um einander zu verstehen. Aber ohne Worte kann ich nicht fühlen. Selbst wenn ich in Deinem Arm liege und Deine Nase in meinem Haar vergraben ist, bist Du mir ohne Worte ganz fern. Eine stumme Einheit kann ich nicht bilden. Ohne Worte ist alles so leer. Und Du sagst, dass Du Dich mir viel näher fühlst, so verbunden, so, als lebten wir Telepathie. Du fühlst uns in der Ruhe so viel mehr. Du magst keine Worte finden, magst nichts kaputtreden. Aber ich, ich fühle mich einsam in der Stille. Ich fühle mich, als sei ich nichts wert – nicht einmal Worte. Ich fühle in Deinen Berührungen keine Liebe, wenn Du schweigst. Ich sehe in Deinem Blick keine Bewunderung, wenn Du schweigst. Ich würde lieber alles kaputtreden und mich und Dich, bis unsere Liebe in Vorwürfen und falschen Bezeichnungen stirbt, ganz echt fühlen. Für mich ist das Schweigen der Tod ohne gestorben zu sein.

Lieblings

Lieblingsbuchstabe: C
Lieblingszahl: 2
Lieblingsfarbe: maigrün und weinrot
Lieblingsgeruch: Sommerregen auf Asphalt
Lieblingsfrisur: windzerzaustes Blondhaar
Lieblingsziel: Bett
Lieblingsbeschäftigung: irgendetwas mit Worten
Lieblingstraum: in bunt
Lieblingslied: harmonische Tonfolgen je nach Stimmung
Lieblingstier: Felliges, Pfotiges
Lieblingsjahreszeit: Sommer
Lieblingsthemperatur: 28 Grad
Lieblingsalter: forever 26
Lieblingsbesonderheit: bunte Orgsamen

Selbst-Bewußtsein

Vielleicht vergeht es irgendwann wieder,
dieses Gefühl, nicht zueinander zu passen.
Vielleicht vergeht sie irgendwann wieder,
diese Entspanntheit, auch wenn ich nichts von Dir höre,
diese Gelassenheit, weil mir dabei nichts fehlt.
Vielleicht vergeht es irgendwann wieder,
dieses Gefühl, dass ich auch ohne Dich noch immer ich bin.

Tauschen?

Tauschen wir? Tauschen wir Deine Bodenständigkeit gegen meine Visionen? Deine Durchdachtheit gegen meine Lust? Deine Zielstrebigkeit gegen meine Wildheit? Deinen Ehrgeiz gegen meine Vielseitigkeit? Tauschen wir?

Kämst Du klar, mit einem Kopf voller Visionen, einem Körper voller Lust, einem Leben, in dem Gefühl immer gegen Verstand gewinnt? Käm ich klar mit Deiner Fokussierung auf Erfolg und nur EINEM Thema pro Zeit und wären meine resultierenden Erfolge hoch genug auf meiner Wohlfühlskala?

Würdest Du Dich nach Deinem Leben sehnen, wenn Du in meines tauchen würdest?
Meins würde mir fehlen…

Blut

So ein klares Rot sah ich selten.
Vielleicht ist es meine Lieblingsfarbe.
Dunkelrot.
Mit diesem Schimmer.
Es rinnt mir die Beine hinab.
So rot.
So unerträglich rot.
Unaufhaltsam.

Mir wird schlecht von dem Anblick dieser Lieblingsfarbe.
Ich mag sie nicht mehr sehen.
Nicht auf meiner Haut.
Nicht in dieser Menge.

Tränen.

Ich werde nicht sterben.
Diesmal nicht.

Nachbarins Augen

Sie hat fast keine Interessen.
Sie hat fast keine Hobbys.
Aber sie ist sehr interessiert an allem, was andere machen.
Sie kennt sie alle, die Nachbarn.
Weiß um alle Haustiere.
Und Kinder.
Auch die unehelichen, die hier gar nicht wohnen.
Sie weiß, wer seine Katze nicht regelmäßig füttert,
wer viel zu selten mit seinem Hund spazieren geht,
wer seine Kinder vernachlässigt
und wer wen mit wem betrügt.
Und sie tratscht.
Sie fühlt sich interessant mit ihrem Halbwissen und all den hinzugedichteten Ahnungen und haltlosen Interpretationen. Sie baut Gerüchte. Sie fügt jeder Geschichte „aber von mir weißt Du es nicht“ hinzu.
Was für ein Leben, das aus Geschichten anderer Leben besteht!
Ich habe Mitleid und beschließe:
Ich werde versuchen, ihr möglichst viel Stoff zu bieten.
Man hat ja auch eine gewisse soziale Verantwortung – unter Nachbarn.

Weißraum

Eine leere Seite und eine handvoll Buchstaben.
Schwierig, sie miteinander zu verbinden.
Vor allem, wenn der Kopf plötzlich so leer ist.
Oder so voll.
Wenn es eigentlich nichts zu schreiben gibt.
Zumindest nichts Durchdachtes.
Irgendwie baut sich Druck auf.
Schreib was!
Irgendetwas!
Es sind doch genug Buchstaben da?
Oder fehlt einer?
Pläne und Ideen habe ich haufenweise im Kopf –
aber eine weiße Seite killt alles.
Die Macht des typografischen Weißraumes
ist nicht zu unterschätzen.

nachplappern

Kein Fleisch, sagst Du, ich muss immer an die Lämmer denken,
die im Frühjahr über die Wiesen vor meinem Fenster springen.
Und zu Ostern plötzlich verschwinden.

Kein Fisch, sagst Du, ich muss immer an das Boot denken
und den See. Wie ich in den Himmel schaute, den Vögeln in Gedanken folgte
und den Wolken. Wie es dunkel wurde und zu regnen begann. Wie ich die Ruder griff
und ins Wasser blickte – in ein Fischmaul, das nach den ersten Tropfen schnappte.

Kein Mais, sagst Du, ich muss immer an die gelben Felder denken.
Und an die Erntemaschine, die die Kolben aus der schwarzen Erde zieht.
Und an das Benzin, das sich schwarz in der Transparenz der Luft auflöst
und ganz unsichtbar auch in meinen Lungen.

Kein Ei, sagst Du, ich muss immer an die kleinen Küken denken,
die so gelb und unbedarft über den Hof picken und ihrer Mutter folgen.
Wie der Hundewelpe sie spielend jagen will und sie alle im Gefieder
der Mutter verschwinden.

Keine Kleidung, sagst Du, ich muss immer an die Kinder denken
in Bangladesh und Indien, die für einen Hungerlohn
und mit Einsatz ihrer Gesundheit nähen und färben.

Keine Schuhe, sagst Du, ich muss immer an die Tiere denken,
die für Leder sterben müssen. Ich muss immer an das Erdöl denken,
das für Plastik verschwendet wird.

Keine Meinung, sagst Du, ich muss immer an die Leute denken,
die sich für mich sonst umsonst ihren Kopf zerbrochen hätten…

Lebensspiel

Verlierer sein. Gewinner sein. Ist das alles nur ein Spiel, dieses zwischenmenschliche Leben? Die Regeln erscheinen mir kurios. Ich muß an Bewerbunggespräche denken. An dieses affektiert-gespielte Treffen von Menschen mit irgendwelchen Zielen. Mit irgendwelchen Träumen. Entscheiden, was man sagen darf und was lieber nicht. Bloß nicht echt sein. Echt sein finden die nicht gut. Die suchen niemanden, der echt ist, die suchen jemanden, der sich einfügt in Strukturen. Menschengeschaffene Strukturen. Wieso stört das nicht viel mehr Leute? Wieso fügt man sich so? Ich würde sterben. Vielleicht nicht sofort, aber das würde mir das Leben aussaugen. Sinnlose Tätigkeiten. 8 Stunden absitzen. Arbeiten für die Tonne. Bezahlt werden. Ich würde lieber für das bezahlt werden, was ich wirklich tue. Ich würde lieber nur 6 oder 4 Stunden effektiv arbeiten, wenn es gerade halt nicht mehr zu tun gibt.

An der Elbe liegen. Im Mondschein. Im Sommer. Reden. Vielleicht ein bißchen flirten. Zwischenmenschliches ist so wundervoll, das kann man auch genießen. Strukturlos. Ohne Körpersprache zu interpretieren. Ohne irgendwelche Psychotests zu spielen und Menschen, die man nicht kennt, in irgendwelche Kategorien zu stecken  neben Vorurteilen und falschen Interpretationen. Ich will nicht mit solchen Leuten zusammenarbeiten, die gar keinen Sinn für das Leben haben. Vielleicht ist das meine Überinterpretation. Mal ergründen. Im Leben. Immer schön Ich bleiben – darum gehts letztenendes. Anders kann man nicht glücklich sein. Ich zumindest nicht.

Leistungsgesellschaft

Mein Lebenslauf passt nicht auf eine Seite. „Kürz raus, was nicht relevant ist“, sagen sie. Was nicht relevant ist? Ich könnte ihn eher noch verlängern! Nichts daran ist irrelevant für mich. Alles hat seinen Anteil an mir. Und die Zeiten, in denen ich in manchen Augen NICHTS gemacht habe, in denen ich reiste, in denen ich lebte, in denen ich mich, andere und die Welt entdeckte, in denen ich mich nicht auf Physik und Französisch konzentrieren konnte, weil die Liebe mich brauchte, in denen ich lernte, auf eigenen Füßen zu stehen – die Zeiten, die für mich so wichtig und prägend waren, die finden in meinem viel zu langen Lebenslauf nicht einmal eine Zeile. Nicht einmal eine Randbemerkung oder Fußnote.

„Was willst Du werden?“ fragen sie. Ich will nichts werden. Ich will das, was ich bin, entfalten.

Perfektionist

Ich schrieb ein Liebeslied.
Ich fand Worte für Dich.
Ich formte daraus Gefühle.
Ich webte ein wenig Lächeln ein.
Ich spannte Sonnenstrahlen dazwischen.
Ich wand aus Linien geschwungene Bögen und tupfte federleichte Punkte auf Papier.
Ich malte Buchstaben, weckte Farben und Tänze.
Allgegenwärtige Schönheit für Dich.
Doch Du verschwandest langsam unter allem, was ich für Dich erschuf.